Sag bescheid, wenn du mich liebst.
Setz dich. Erzähle. Erzähle mir von dir.
Kannst du dich wirklich noch an deinen vierten Geburtstag erinnern? Wie du mit blauen Latzhosen vor deiner bekerzten Sahnetorte saßt, dein dünnes Ärmchen nach einem Gummibärchen fischend, ein breites Grinsen im Gesicht und dem Gefühl im winzigen Bauch, dass dir das Leben noch ganz oft Sahnetorten mit Gummibärchen kredenzen wird. Deine Großmutter, die dir dabei von hinten rechts ins Ohrläppchen kneift, weil sie ihrer Zuneigung immer durch Beißen oder Kneifen Ausdruck verlieh.
Setz dich. Erzähle mehr davon.
Oder geht das nicht, weil deine Erinnerung nur diesen Ausschnitt zu bieten hat. Weil die Vergangenheit zerschlissen ist. Weil du dich in Wirklichkeit an gar nichts erinnerst. Weil du lediglich das Motiv eines kleinen Fotos in einem rot-blau karierten Album wiedergibst. Weil es ein Erinnerungsschnappschuss ist und keine Sequenz.
Ein Einsekünder. Wenn überhaupt.
Weil es zu kurz ist. So wie immer alles zu kurz ist. Egal ob im Sein oder im Früher oder im Werden.
Setz dich. Erzähle vom Sein.
Du kannst nur vom Ich-Sein erzählen, meinst du. Weil du kein Dein-Sein kennst. Und ob du das Ich-Sein kennst, weißt du auch nicht so genau. Und ob es ein Dein-Sein überhaupt gibt.
Oder doch nur ein Alleinsein und vielleicht irgendwann ein Alleinsein zu zweit.
szenenapplaus am 15. Januar 12
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Sex sells oder: Warum Reckturnen verboten werden sollte.
Wenn Waschmaschinen schon vor dem Schleudergang in einer Lautstärke poltern, die einen an die Landung eines mittelschweren Hubschraubers denken lässt, wollen sie einem damit wohl sagen: Hey, genug schmutzige Wäsche gewaschen. Ich brauch ne Pause. Als liebevoller Waschmaschinenbesitzer will man ihr nichts Schlechtes und so kommt man ihr in diesem bescheidenen Wunsch nach und lässt sie eine Weile in Ruhe. Auf Kur schicken geht ja nicht.
Umso besser, dass es Waschsalons gibt. In Kinofilmen herrscht in Waschsalons stets hektischer Betrieb, die Stimmung ist heiter, alles in allem gleicht das Ganze eher einem Ausflug auf den Jahrmarkt als schnödem Reinemachen. In Kinofilmen werden in Waschsalons regelmäßig Leute entdeckt, sei es von Musikproduzenten, Fotografen oder Traummännern. In Kinofilmen geht in Waschsalons der Punk ab.
So zog ich aus, bereit, mit einem Sack frischer Wäsche und einem Beutel voll Glück wieder heimzukehren und musste feststellen: Waschsalons sind in etwa so öde wie eine neblige Kuhalm im Spätherbst. Keine Menschenseele war anzutreffen, zu Lesen hatte ich nichts dabei und die Bedienungsanleitung für die Maschine auswendig zu lernen stellte ich mir auch nur bedingt befriedigend vor. Zumal das Ganze auch irgendwie witzlos war, wenn nicht einmal ein mickriger Passant vorbeikam, dem man das eben Gelernte hätte vortragen können.
Die Frage, wie sich also die Zeit vertreiben, schien beantwortet, als mir ein einfiel, dass direkt nebenan ein Erotikladen war. Da ich so einen eh noch nie von innen gesehen hatte und ich mir einredete, dass auf meiner To do – Liste für’s Leben zwischen ‚Radieschenbeet pflanzen‘ und ‚Im Atlas nachschlagen, wo genau Kuala Lumpur liegt‘ sicherlich auch irgendwo ‚Sexshop besuchen‘ stand, marschierte ich schließlich aus dem verwaisten Salon. Den Wäschekorb nahm ich sicherheitshalber mit, dann konnte ich, sollte ich drinnen bemerken, dass das doch keine so gute Idee war, immer noch behaupten, ich hätte mich lediglich in der Tür geirrt. Schon vor der Ladentüre entschloss ich mich, lieber erst einmal einen Blick ins Schaufenster zu werfen. Ein ‚MeinlieberHerrGesangverein‘ wäre doch zu übertrieben, denn - dafür einen Euro in die Phrasenkasse - : jedem das Seine.
Verblüffung beschreibt wohl am Treffendsten, was ich empfand, als ich eine Fotografie einer besonders merkwürdigen Konstruktion entdeckte. Hätte man mir das abgebildete Etwas außerhalb dieses Etablissements, ohne Erklärung und nur mit dem Auftrag, es zu verhökern, in die Hand gedrückt, hätte ich es im Brustton der Überzeugung als Reck angepriesen und sämtliche Kinder dazu angestachelt, sie mögen ihren Papi holen, damit er es kaufen und ihnen im Garten aufbauen konnte. Sicherlich, der Erfolg hätte sich nicht zwangsläufig eingestellt, denn sind wir mal ehrlich: Reckturnen war schon in der Schule ein Graus.
Auf der Stange sitzen ging noch. Aber bis heute ist es mir ein Rätsel, was genau man mit seinem Körper bei einem Felgaufschwung machen muss. ‚Einfach nur die Hüftknochen an die Stange ziehen, abknicken und sich dann um die Stange drehen‘, das war es, was meine Sportlehrerin uns predigte und bis heute finde ich: mehr Hohn und Spott kann in einem ‚einfach nur‘ nicht liegen. Wenn man versuchte, sich ‚einfach nur‘ nach oben zu schwingen, war es, als würde auf einmal der ganze Körper nach unten ziehen, die Hüftknochen waren dem Hallenboden näher als der Reckstange. So musste sich ein nasser Sack fühlen. Die Hilfestellungen links und rechts von einem ächzten schwer unter dem Versuch, den Körper annähernd an die Stange zu bringen und am Ende bekam man für die Demütigung auch noch eine schlechte Note. Und wofür? Weil man den Gesetzen der Schwerkraft Folge leistete. Dafür. Das Einzige, was noch entwürdigender war als Reckturnen, war ‚Über den Kasten springen‘, weil es eigentlich ‚Gegen den Kasten laufen‘ hätte heißen sollen.
Nein, wo ich es mir so überlegte, war schon gut, dass dieses Ding da in dem Schaufenster für Erwachsene lag. Sollten die sich abrackern und die Kindheit dafür eine reckfreie Zone werden.
szenenapplaus am 23. Juli 11
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Kläuse in Klausur.
Dass Nomen doch oft Omen ist, weiß man nicht erst seit RTLII-Doku-Soaps. Dort, wo sich Kevin und Mandy „Gute Nacht“ sagen, ist es meist stark unordentlich bis vollkommen verdreckt, irgendeiner ist immer arbeitslos, Tochter Chantal häufig übergewichtig, mit sechzehn rauchende Mutter dreier blasser Kinder oder verliebt in Justin, selbst drogenabhängig seit er vor drei Jahren in der sechsten Klasse zum zweiten Mal sitzengeblieben ist.
Das Phänomen der anglophilen Namensgebung ist keine neuartige Erscheinung und schon überhaupt keine Seltenheit mehr. Dass Eltern ihre unschuldigen Neugeborenen damit von vornherein schnell mit einer – in Ausnahmefällen möglicherweise auch ungerechtfertigten – Beschränktheit brandmarken, scheint sie nicht zu stören. Genies heißen nicht Mandy. Und Kevin auch nicht.
Genies heißen aber auch nicht Klaus. Auch dann nicht, wenn sie sich durch hysterische Fernsehauftritte (siehe Kinski), schlagereske Mauerfalllieder (siehe Meine) oder durch pseudophilosophische Aphorismen (siehe Klage) selbst dazu stilisieren wollen. Die Erfahrung zeigt: Kläuse lieber wegsperren.
Dass Klaus Klage, seines Zeichens alliterationsbehafteter Abreißkalenderverleger, skrupelloser Verteiler gassenhauerähnlicher Volksweisheiten und Vater des Phrasenkassenfüllers „Ein Lächeln bleibt selten allein“, nichts kann, durfte sich heute wieder bewahrheiten:
Während eines Gangs durch die bedeckten Straßen der Stadt, trifft meine Kollegin S. auf diverse, ihr entgegen kommende, zum Teil gräuliche und gestresste, zum Teil abwesende und angestrengte Gesichter. Um den Bebürdeten wenigstens mental etwas Last von den Schultern zu nehmen, lächelt sie einige von ihnen an. Wenige lächeln zurück, die meisten übersehen ihre Geste geflisstenlich. Nur eine bleibt sogar stehen. Und meint: „Schauen Sie mich nicht so an. Mit Huren will ich nichts zu tun haben.“ "Sicher, Sie haben bestimmt schon schlechte Erfahrungen gemacht. Aber keine Angst! Ich habe nicht vor, in Ihrem Revier zu wildern, gnädige Frau", entgegnet meine Kollegin nicht. Die Verblüffung macht sie schweigen. Als die Worte wieder rollen würden, ist die Alte um’s Eck.
Und auch Klaus Klage lässt sich nicht blicken. Er weiß schon, wieso.
szenenapplaus am 19. Juli 11
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