Liebe:dennoch.
szenenapplaus am 08. Juli 11
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Bisher hatte ich nur die mir mittlerweile ein wenig unheimlich gewordene Alte von gegenüber kennengelernt.
Die, die immer ihre Wohnungstür aufriss, sobald sie hörte, dass sich ganz unten der Schlüssel drehte. Und die, die sich dann so lange in der Tür druckste, bis endlich jemand ihren Rahmen streifte. Der nichtsahnende Ankömmling sah sich sodann einem Schwall von Feststellungen und Fragen ausgesetzt, die von „Mei, endlich Feierabend, gell.“ über „Wo kemmas denn her?!“ bis zu „Schauns, wos hams denn do eikauft?!“ reichte. Möglicherweise zerrte sie noch während des Verbalschnüffelns an der ohnehin schon überbelasteten Plastiktüte des hungrigen Heimkehrers. Dies führte zu dem unweigerlich eintreten müssenden Plastikhenkelabreißunfall, was ihr wiederum den ersehnt uneingeschränkten Blick auf die nötigsten Naturalien des lechzend Unbedarften schenkte. Erst dann durfte der schuld- und nunmehr tütenlose mit Glück, Wurst, Käse, Brot und Gurke im Arm seinen Weg fortsetzen. Eine Etage höher, zu seiner Wohnung, zum Ziel.
Die zugegeben durchaus nicht selten anzutreffende Angewohnheit der Nachbarnbeobachtung durch ältere Anrainer ist ein Ärgernis, doch in seiner Erwartbarkeit ein kalkulierbares Risiko. Hätte sich diese Dame in letzter Zeit nicht von einer offenkundig Interessierten, deren Leben ohne die ungefragte Anteilnahme an dem ihrer Nachbarn für sie offenbar keines ist, zu einer versteckt Gespenstischen gemausert.
Die Alte reißt nun ihre Tür nicht mehr nur von innen auf, sobald sie ein Geräusch von draußen hört. Mittlerweile scheint sie die ihre die Sicht erschwerenden vier Wände vollständig gegen das Treppenhaus eingetauscht zu haben. Öffnet man morgens seine Tür von innen, sie steht bereits davor und schaut. Öffnet man abends seine Tür von außen, sie steht noch davor und schaut. Es scheint, als müsse sie nicht mehr essen oder trinken. Auch reguläre Toilettengänge scheinen abgeschafft, ersetzt von unendlich stummem Stehen und Schauen im Treppenhaus.
Umso erfreulicher das Klopfen an meiner Türe an einem Sonntag vergangener Wochen.
Draußen steht ein angenehm anmutendes Wesen, das sich als Su vorstellt. Sie würde unter mir wohnen. Die sich direkt daran anschließende Frage, ob ich Haustiere hätte, kommt etwas plötzlich, aber warum nicht, denke ich. Immer noch besser als ein „Gibt’s bei Eana heid a Schweiners?! Kochen Sie überhaupst wos?!“. Das Gespräch wird kurz, ich habe keine. Auf zu neuen Themen, denke ich. Sie will keinen Wechsel. „Hmja, aha, ohkeh…in meiner Toilettenschüssel sind nämlich zwei Ratten und eine Schlange. Ich dachte, die wären vielleicht von Ihnen.“ Sind sie nicht.
Sie ist nicht hier, um Freunde zu werden. Immerhin stehen wir uns ein paar Sekunden gegenüber und schütteln uns in angeekelter Eintracht. „Ich geh’ wieder runter. Blumentopf auf den Deckel stellen. Sicher ist sicher.“
Der Schädlingsbekämpfer meint, Ratten könnten aus dem Stand 70 Zentimeter hoch springen. Auch aus Schüsseln heraus. Nachdem sie den Klodeckel mit eigener Kraft von innen nach oben gedrückt hätten. Es gäbe einen sogenannten Rattstop, das Ruhekissen für Nagergeklatschte und der Garant für ungestört laufendes Pullern.
Wir haben unseren eigenen Rattstop. Sicher ist sicher.
