.Karawanenkrawall
Der morgendliche Weg zur Arbeit beginnt mit einer Fahrt, die das Herz aller Psychologen und solcher, die sich dafür halten, bei guter Laune höher schlagen lässt. Nur an wenigen anderen Plätzen der Welt zeigen sich so viele Formen menschlicher Existenz auf derart engem Raum gepfercht wie in der U-Bahn. Nicht immer ist die Welle der Reizflut bekömmlich auf nüchternen Magen.
Frisch gebügelte Hemden sitzen neben alles verhüllenden Burkas, gestopfte Schulranzen drängen sich an abgewetzte Gehstöcke, lackierte Nägel glänzen bei blätternden Kaffeebechern, schaukelnde Kopfhörer zwängen sich vorbei an beklecksten Uniformen, müffelnde Achselhöhlen pressen sich an empfindliche Nasenflügel. Kopfhöhlen beäugen sich eindringlich leer. Alle ungefragt versammelt in diesem Schlauch unter der Erde. Die Privatsphäre gesprengt, die Freiheit irgendwo anders.
Das Umsteigen wird zum Spießroutenlauf. Blonde Mähnen schieben, Glatzen zerren, brünette Wellen treiben, schwarzes Gel quetscht, Silberlocken verzögern – keine Zeit, wo ist das Licht.
Am Morgen dann: eine Frau stoppt die strömende Karawane auf dem Weg von der ersten zur zweiten Linie. Ihr Fuß erstarrt auf der untersten Rolltreppenstufe. Nichts geht mehr. Hallo!MachenSiemal!, von hinten Genöle. Dabewegtsichnichts.DieTreppeistkaputt!, von vorne Verzweiflung. GehenSie!:Genöle. Wirkommenhiernichtmehrraus…:Verzweiflung. Verdammtnochmalwasistdalos!:Genöle. Platzangst…:Verzweiflung.
DrängenFluchenDrückenFiebern.
Aber gnädige Frau, beruhigen Sie sich, meint die Beschwichtigung. Eine Rolltreppe, die nicht mehr rollt, ist noch immer – eine Treppe!?
Der Zug setzt sich fort, Freiheit ruft.
szenenapplaus am 12. Juli 11
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Tausendmal selbst gedacht, gesehen, gerochen, aber nie niedergeschrieben - das ham Sie sehr schön in Worte gefasst!
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